Einführungsbild für Meine Perspektive. Rohrelement mit Schiene und gelben Pöppeln,

KOLUMNE DER SCHÜTTGUT & PROZESS 2/2024

Virtuelle Schüttgut Realität

Zunächst einmal möchte ich Sie, liebe Leserin, lieber Leser, an dieser neuen Stelle im neuen Format begrüßen, in dem ich noch etwas mehr Einblicke in meine Perspektive liefern kann. Also: „Klappe und… Action!“.

Schon öfter gab es bei Gesprächen oder meinen Vorträgen Bedenken, wie bei der Schüttgutsimulation die Brücke zur Realität geschlagen wird. Zugespitzt formuliert: „Das sind doch nur bunte Bilder, das echte Schüttgut verhält sich doch ganz anders!“ Um dies zu verhindern kommt bei der Schüttgutsimulation die Kalibrierung ins Spiel. Denn anders als in der Strukturmechanik, wo für einfache Simulationen bereits das E-Modul aus dem Materialdatenblatt reicht, ist auch bei einfachen Schüttgutsimulationen wenigstens die Kalibrierung der Schüttdichte und des statischen Schüttwinkels notwendig.

Animation von Schüttgut in einem Simulationstest. Drei verschiedene Stadien .
Abbildung 1: Beispiele für standardisierte Schüttguttests: a) statischer Schüttwinkel, b) dynamischer Schüttwinkel, c) Schulze Ringscherzelle.

Glücklicherweise können wir dabei einerseits auf standardisierte Schüttguttests zurückgreifen, die auch für die Schüttgutcharakterisierung zum Einsatz kommen (Beispiele in Abbildung 1). Lassen Sie sich bei der Betrachtung der Bilder nicht von vermeintlich großen Partikeln in die Irre führen. In der Simulation können wir das Fließverhalten feinster, schlecht fließende Schüttgüter wie Mehl problemlos darstellen, auch wenn die simulierten Partikel größer sind als die realen. Besonders charmant bei Standardtests ist, dass die Auswertungen bereits automatisiert sind und die Ergebnisse wie im Realversuch dargestellt werden, wie in Abbildung 2 anhand der Ringscherzelle zu sehen.

Andererseits können auch individuelle Tests nachgebildet werden, bei denen ein charakteristisches Verhalten beobachtbar ist. Da die Kalibrierungssimulation häufiger durchgeführt werden muss (bis das gewünschte Verhalten erreicht ist), sollten ausreichend kleine Fälle betrachtet werden – dies gilt sowohl räumlich als auch zeitlich. Mit anderen Worten: die Betrachtung eines ganzen Silos über mehrere Stunden eignet sich nicht für eine Kalibrierung, ein Laborgerät wie die Ringscherzelle mit einer Messung über einige Sekunden hingegen ist optimal für etliche Iterationen.

Diagramm, das Schüttgutbewegung zeigt.
Abbildung 2: Auswertung des Fließortes einer simulierten Ringscherzelle mit Ausgabe des inneren Reibungswinkels und der Fließfähigkeit.

Unabhängig davon, ob Sie sich bei der Kalibrierung für einen individuellen oder einen Standardtest entscheiden, ist es wichtig, dass der Kalibrierungstest der zu simulierenden Anwendung physikalisch nahe kommt. Hier einige Standardbeispiele:
– Für Prozesse der Ablagerung, wie der Befüllung von Silos oder Behältern, ist der statische Schüttwinkeltest die einfachste Wahl.
– Für frei fließende Schüttgüter ohne Kompression, wie in etlichen Fördereinrichtungen, stehen der dynamische Schüttwinkeltest oder die Ringscher-zelle mit niedriger Kompression zur Auswahl.
– Für fließende Schüttgüter mit hoher Last, wie bei einem Silo – auslauf, ist die Ringscherzelle mit passend eingestellter Kompression die beste Wahl.

In meinen bisherigen Projekten konnten mit kalibrierten Materialien die Eigenschaften der dargestellten Schüttgüter häufig genauer kalibriert werden, als es die natürliche Streuung des realen Schüttgutes es notwendig macht. Aber es muss nicht immer das eine Schüttgut sein. Mittels generischer Schüttgüter können Anlagen z. -B. auf eine Bandbreite von Fließ fähigkeiten ausgelegt werden. Simulation und Kalibrierung beschränken sich dabei nicht auf das reine Fließverhalten. Auch Entmischung, Anbackungen oder Strömungsinteraktionen lassen sich per Kalibrierung abgleichen und simulieren um einige Beispiele zu nennen.

Ich hoffe ich konnte Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, mit meinem Beitrag einen kleinen Einblick in meine tägliche Arbeit geben. Nächstes mal gibt es wieder ein Thema aus der Praxis… versprochen!

Jan-Philip Fürstenau der Cadfem

Der Autor unserer Schüttgut-Kolumne ist Dr.-Ing. Jan-Philipp Fürstenau. Als Application Engineer Ansys Rocky bei der CADFEM Germany GmbH beschäftigt er sich primär im Rahmen der Partikelsimulation mit Fragen der Verfahrens- und Schüttguttechnik.

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