Durchgängiger Datenzugriff

Mit der neuen Kommunikationstechnologie Ethernet-APL haben Anwender in den Prozessindustrien auf ihrer Suche nach höherer Effizienz und steigender Qualität einen starken Partner an ihre Seite bekommen. Dieser neue Weg der Datenübertragung wird der Digitalisierung in verfahrenstechnischen Produktionen einen Schub bescheren. Sicher und praktikabel werden Daten aus allen Bereichen von Prozessanlagen vernetzt und zentral verfügbar gemacht. Das hilft Anwendern, aus Unmengen von Datenpunkten wertvolle Informationen abzuleiten.

Autor: Frank Jablonski, freier Redakteur, mylk+honey, für Endress+Hauser

Ethernet-APL ermöglicht einen schnelleren Zugriff auf Daten aus dem Feld, die dann in digitalen Services wie dem Netilion Ökosystem zur Verfügung stehen.

Seit vielen Jahren sind Feldgeräte in der Verfahrenstechnik in der Lage, nicht nur ihre eigentliche Messaufgabe zu erfüllen, sondern auch weitergehende Informationen zu liefern. Theoretisch wird so die installierte Basis transparent und detaillierte Gerätediagnoseinformationen stehen zur Verfügung, beispielsweise zur vorbeugenden Wartung der Instrumente.

Allerdings lässt sich dieser Mehrwert mit den momentan eingesetzten Technologien nur teilweise realisieren. Beispielsweise ist die 4…20mA-Analogtechnik zur Prozesssteuerung geeignet, nicht aber für weiteren Datenzugriff. Das zusätzliche HART-Protokoll, das heute meistens nur für die Konfiguration der Geräte genutzt wird, ist für einen umfangreichen Datenzugriff schlicht zu langsam. Die seit vielen Jahren bekannte Feldbustechnologie hat diesen Punkt zwar verbessert, ist aber ebenfalls noch recht langsam. Zudem hat sich im Laufe der Jahre gezeigt, dass die Feldbustechnologie vielen Anwendern zu komplex ist und sich infolgedessen nie vollständig durchsetzen konnte.

Welten wachsen zusammen

Der Blick in andere Bereiche zeigt, dass die Datenübertragung via Ethernet dort zum Standard nicht nur in der Büroumgebung, sondern auch im industriellen Einsatz geworden ist. Der Hauptvorteil liegt in der hohen Geschwindigkeit und der nahtlosen Integration in IT-Systeme. „Lediglich im Feld der Prozessindustrie haben die Ethernet-Spezifikationen bislang die Erwartungen der Betreiber nicht erfüllt“, sagt Benedikt Spielmann, Marketing Manager Industrial Communication bei Endress+Hauser und erklärt warum: „Ethernet überträgt Daten zwar schnell, aber alle Komponenten benötigen eine separate Energieversorgung. Das bedeutet einen hohen Verkabelungsaufwand und damit verbunden höhere Kosten. Außerdem war Ethernet bislang auf 100 Meter Kabellänge beschränkt, während in Prozessanlagen oftmals Distanzen von 1000 Metern und mehr zu überbrücken sind. Auch der typische RJ-45-Stecker ist nicht für die raue Umgebung im Feld ausgelegt. Doch das beste Argument bislang gegen den Einsatz von Ethernet in der Prozessindustrie war die mangelnde Eignung für Ex-Bereiche aufgrund der fehlenden Eigensicherheit.“

Fit für den Einsatz in der Feldebene: Mit Ethernet-APL wird die Digitalisierung in verfahrenstechnischen Produktionen einen Schub erhalten.

Vor einigen Jahren haben sich namhafte Hersteller und Nutzerorganisationen zusammengetan, um genau diese Nachteile aus der Welt zu schaffen. Die Ethernet-APL-Gruppe hat sich zum Ziel gesetzt, die grundsätzlichen Vorteile der Ethernet-Technologie auch in den verfahrenstechnischen Anlagen nutzen zu können und Ethernet fit für den Einsatz in der Feldebene der Prozessindustrie zu machen: Energieversorgung und Datenübertragung über dasselbe Zweileiterkabel, für den Einsatz im Ex-Bereich geeignet, mit einer hohen Bandbreite und langen Kabeldistanzen.

Die Arbeit an den Spezifikationen ist mittlerweile abgeschlossen. Die Technologie wurde im Rahmen der virtuellen Messe ACHEMA 2021 der Öffentlichkeit vorgestellt. „Der Launch der Ethernet-APL Technologie zur ACHEMA Pulse war ein wichtiger Meilenstein“, so Benedikt Spielmann. „Alle Spezifikationen und Guidelines wurden wie geplant pünktlich fertiggestellt. Die Vorstellung von ersten Ethernet-APL Geräten auf der Multi-Vendor-APL-Wand hat eindrücklich gezeigt, dass alle beteiligten Hersteller an ihrem APL-Portfolio arbeiten. Außerdem gab es dadurch erste Einblicke, welche Anwendungsfälle beim Kunden von der neuen Technologie profitieren.“

Arbeitspakete im APL-Projekt

Als eine der vorrangigen Aufgaben der Arbeitsgruppe galt es, die Eigensicherheit zu gewährleisten. Hierzu musste zuerst einmal die Energieübertragung begrenzt werden. Diese Anforderung widersprach zunächst einmal den Wünschen nach einer hohen Bandbreite, langen Kabeldistanzen und einer Robustheit gegenüber elektromagnetischen Störfaktoren. Auch mussten Fragen nach den Anforderungen an Kabel und Stecker bzw. die Art der Verbindung beantwortet werden. Sämtliche Herausforderungen wurden erfolgreich gemeistert und ihre Lösung findet sich in verschiedenen Arbeitspapieren, Standards und Dokumenten wieder:

  • 10BASE-T1L: Die Spezifikation IEEE802.3cg-2019 definiert die Full-Duplex-Datenübertragung mit 10 Mbit/s über ein Zweileiterkabel für Distanzen bis zu 1000 Meter. Das ist auch die Basis zur Produktion von PHY-Komponenten (Microchips zur Codierung und Decodierung in Ethernet-APL-Geräten).
  • 2-WISE: Das Konzept für 2-Wire Intrinsically Safe Ethernet (2-WISE) basiert auf dem Fieldbus Intrinsically Safe Concept (FISCO). Eine Migration von bestehenden Feldbusinstallationen wird durch kompatible Ex-i-Parameter vereinfacht und eine einfache Installation ohne umfangreiche Validierungen in Ex-Bereichen sichergestellt.
  • Port Profiles: In der APL-Port-Profile-Spezifikation werden funktionale und elektrische Anforderungen mit mehreren Energiekonzepten festgelegt. Dies ermöglicht unterschiedliche Topologien, wie das gängige Trunk-and-Spur-Konzept, mit bis zu 1000 Meter auf dem Trunk und 200 Meter auf der Spur-Line. Die Spezifikation beinhaltet zudem Installationsregeln wie zugelassene Kabel, Schirmung und Erdung sowie die Definition von Klemmverbindungen und M8/M12-Steckverbindern.
  • Engineering Guideline: Diese Guideline bietet detaillierte Informationen für die Planung, Installation und Inbetriebnahme von Ethernet-APL-Netzwerken.
  • Conformance Test Specification: Um die Konformität eines Ethernet-APL-Geräts mit den genannten Spezifikationen sicherzustellen, wird eine entsprechende Testspezifikation erstellt. Diese Tests sind die Basis für die Zertifizierungen von Ethernet-APL-Geräten bei akkreditierten Prüflaboren der involvierten Nutzerorganisationen. Dadurch wird die Interoperabilität von Ethernet-APL-Geräten für den Endanwender sichergestellt.
EH_topology.jpg Ethernet-APL ermöglicht flexible Topologien.

In der Praxis angekommen

Bereits vor der offiziellen Vorstellung der Normen und Spezifikationen und der nach ihren Vorgaben konstruierten Geräte, wurde die Ethernet-APL-Technologie erfolgreich in der Praxis eingesetzt. So hat die BASF in Ludwigshafen schon im Jahr 2019 Ethernet-APL-Prototypen verschiedener Hersteller installiert. Die Tests reichten von der Installation über die Inbetriebnahme bis hin zum Ausschleusen von Daten parallel zum Prozessleitsystem. Die Automatisierer der Prozessindustrie diskutierten bereits auf der NAMUR-Hauptversammlung 2019 die vielversprechenden Ergebnisse. Zusammengefasst lauteten die Vorteile von Ethernet-APL:

  • Die Steckverbinder und die verschiedenen Topologien ermöglichen eine einfache und flexible Installation.
  • Der Fernzugriff und die schnelle Datenübertragung vereinfachen und beschleunigen die Inbetriebnahme einer Anlage.
  • Die Ethernet-Kommunikation über das 2-Leiter-Feldbuskabel ist stabil.
  • Daten aus der smarten Instrumentierung können über den „second channel“ gemäß NAMUR Open Architecture vorbei am Prozessleitsystem geleitet werden.

Erfahrungen, die der Feldgeräte-Hersteller Endress+Hauser bestätigt: „Bereits vor zehn Jahren haben wir ein Durchflussmessgerät mit Ethernet-Konnektivität auf den Markt gebracht und seitdem das Angebot Schritt für Schritt erweitert“, blickt Spielmann zurück. Die Resonanz, vor allem aus der Lebensmittel- und Getränkeindustrie, war sehr positiv. „Mehr Prozessdaten und mehr Diagnoseinformation schaffen Transparenz und helfen bei der Optimierung von Abläufen. Dieser zusätzliche Funktionsumfang im Sinne der Digitalisierung kam bei den Anwendern sehr gut an“, berichtet Spielmann.

Besonders in der Instandhaltung von Geräten ergeben sich durch eine durchgängige Ethernet-Technologie viele Vorteile in Bezug auf Effizienz und Einfachheit. Anwender profitieren von einem integrierten Webserver, der den Fernzugriff auf ein Feldgerät für Parametrierung oder Fehleridentifikation vereinfacht. Selbst Firmware-Updates sind über diesen Fernzugriff inklusive hoher Geschwindigkeit möglich. Die Performance von Ethernet begünstigt auch Standard Anwendungsfälle wie die Erstellung von Messtellenreports oder ein Up-/Download von Parametersets.

Zukünftig können Anwender ohne Interpretationsprobleme auf die Daten aus dem Feld zugreifen. Diese stehen dann über digitale Services wie dem Ökosystem Netilion von Endress+Hauser zur Verfügung. Mit anderen Protokollen wie PROFIBUS oder HART, funktioniert diese Verbindung zwar grundsätzlich auch, die Nutzung von Ethernet-APL jedoch stellt mehr Daten und diese schneller zur Verfügung. Ein typisches Beispiel ist die vorausschauende Wartung, die mit Echtzeitdaten aus den Feldgeräten gesteuert wird. „Die Algorithmen sind in den Feldgeräten vorhanden, müssen aber in der Cloud auch verarbeitet werden. Mit Ethernet-APL ist die Datenautobahn vorhanden, um diese Daten zur Verfügung zu stellen. Wenn das alles über HART gehen würde, wäre das Netzwerk ständig überlastet und der Datentransfer würde unerträglich lange dauern“, erklärt Spielmann.

Ein weiterer Aspekt: Mit Ethernet-APL kann auch der modulare Ansatz, der in vielen Betrieben der chemischen Industrie derzeit umgesetzt wird, unterstützt werden. Beliebig viele APL-Segmente können angehängt werden, die das gleiche Design nutzen, wie bereits in anderen Segmenten verwendet. Die Topologie wird initial aufgebaut, alles andere, wie die Namensvergabe oder die Startup-Parameter im Beispiel von PROFINET als Ethernet Protokoll, wird automatisch an die Geräte übertragen. „Mit dem jetzigen Zweidraht-Ethernet holen wir auch die Anwender aus den Bereichen Chemie, Öl und Gas oder Minerals and Mining ab. Dort gibt es die gleichen Anforderungen in Richtung Digitalisierung und wir stellen jetzt das Portfolio dazu bereit“, freut sich Spielmann.

Benedikt Spielmann, Marketing Manager Industrial Communication, Endress+Hauser Digital Solutions

Endress+Hauser arbeitet intensiv an der Entwicklung des Ethernet-APL Produktportfolios. Mit der Fertigstellung der APL-Spezifikationen und der Verfügbarkeit der PHY-Chips sind die notwendigen Puzzleteile verfügbar. Im Laufe des ersten Halbjahres 2022 werden Ethernet-APL Geräte für die Messprinzipien Durchfluss, Füllstand, Druck und Temperatur auf den Markt gebracht. „Damit stellen wir neben den bereits existierenden 4-Leiter-Ethernet-Geräten für Durchflussmessung und Flüssigkeitsanalyse ein breites Portfolio mit Ethernet-Konnektivität zur Verfügung“, sagt Spielmann.

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